Acht­sa­mes Schrei­ben gilt als ein­fa­che, aber tief­grei­fen­de Acht­sam­keits­pra­xis, durch die das ge­schrie­be­ne Wort mehr Klar­heit bringt und eine po­si­ti­ve­re und ein­drück­li­che­re Wir­kung hat als das Ge­dach­te. Doch dafür muss man beim Den­ken erst­mal die Acht­sam­keit weg­las­sen, denn sie hin­dert uns even­tu­ell daran, frei und un­be­fan­gen zu for­mu­lie­ren – sich etwas von der Seele schrei­ben. Was dann dabei her­aus­kommt, zu­meist eher Frag­men­tä­res, Un­ge­schlif­fe­nes, führt al­ler­dings auf di­rek­tem Weg zu mehr Acht­sam­keit: Indem wir uns be­wusst damit aus­ein­an­der­set­zen und uns so selbst bes­ser ken­nen- und ver­ste­hen ler­nen.

Das Fest­hal­ten von Ge­dan­ken in Schrift­form darf dabei nicht zum Ehr­geiz füh­ren, tat­säch­lich „schriftreif“ zu for­mu­lie­ren. Das Ge­schrie­be­ne soll ja nicht zur Ver­öf­fent­li­chung die­nen, son­dern den Blick zu un­se­rem In­ne­ren öff­nen und er­wei­tern. Schrei­ben kann dabei zu einem Frei­le­gungs­pro­zess wer­den, bei dem in­ne­re Bil­der und Ge­füh­le Aus­druck fin­den, deren Wir­kung sich beim an­schlie­ßen­den oder auch erst spä­te­ren Durch­le­sen ent­fal­tet.

 

Schrei­ben als Form der Ei­gen­the­ra­pie

Schrei­ben wirkt heil­sam auf men­ta­le Pro­zes­se – ne­ga­ti­ve wie auch po­si­tiv emp­fun­de­ne – und kann unser Ge­fühls­le­ben und un­se­re Selbst­wahr­neh­mung stär­ken. Das „Deut­sche Fach­zen­trum für Acht­sam­keit“ (DFME) de­fi­niert es so: „Ex­pres­si­ves Schrei­ben gilt als eine der wis­sen­schaft­lich am bes­ten un­ter­such­ten psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Selbst­hil­fe­tech­ni­ken. Ex­pres­siv be­deu­tet, sei­nem in­ne­ren Er­le­ben mit­tels Pa­pier und Stift einen Aus­druck zu geben. Die be­son­de­re Wirk­sam­keit des Schrei­bens soll in der emo­tio­na­len Hin­wen­dung und der sprach­li­chen Ver­knüp­fung von Fak­ten und Ge­füh­len be­grün­det sein.“

Und wei­ter: „Schrei­ben er­leich­tert die in­ne­re Aus­ein­an­der­set­zung mit be­las­ten­den Er­leb­nis­sen und un­ter­stützt deren Ver­ar­bei­tung. Tat­säch­lich be­le­gen zahl­rei­che Stu­di­en, dass emo­tio­na­les Lei­den durch Schrei­ben ge­lin­dert wer­den kann.“ Po­si­ti­ve Ef­fek­te sieht auch der ame­ri­ka­ni­sche Psy­cho­lo­ge Prof. James Pen­ne­bak­er, der dem schrift­li­chen Zum-Aus­druck­brin­gen von Ge­dan­ken eine er­höh­te Ak­ti­vi­tät des Im­mun­sys­tems und eine damit ein­her­ge­hen­de Stär­kung der kör­per­li­chen Wi­der­stands­kraft be­stä­tigt. Es soll sogar stress­re­du­zie­rend wir­ken und Op­ti­mis­mus und Krea­ti­vi­tät sti­mu­lie­ren.

 

Der in­ne­re Ge­sprächs­part­ner

In­tui­ti­ves Schrei­ben, wozu auch ein­fa­ches Ta­ge­buch­schrei­ben ge­hört, kann die geis­ti­ge Funk­ti­on des in­ne­ren Dia­logs ak­ti­vie­ren. Dabei kön­nen wir durch­aus auch auf meh­re­re Dia­log­part­ner in uns sto­ßen, je nach der ge­ra­de ein­ge­nom­me­nen Per­spek­ti­ve, denen wir auf­merk­sam zu­hö­ren soll­ten. Sie kön­nen als Kri­ti­ker, Zen­sor oder Rich­ter ge­gen­über uns auf­tre­ten und uns hel­fen, das Er­leb­te und dar­aus ent­ste­hen­de Ent­schei­dun­gen bes­ser ein­zu­ord­nen.

Zum acht­sa­men Schrei­ben braucht man keine be­son­de­ren Vor­aus­set­zun­gen oder Ört­lich­kei­ten, keine Ri­tua­le und Rou­ti­nen und schon gar keine kor­rek­te Recht­schrei­bung. Es geht immer und über­all, denn „acht­sam be­deu­tet auch ein­fach“, wie das DFME weiß. Nur soll­te man dabei nicht un­be­dingt die Dau­men am Smart­pho­ne be­nut­zen. Das hap­ti­sche Er­leb­nis von Pa­pier und Schreib­zeug, vom Blei­stift bis zum Fül­ler, ver­stärkt das Ge­fühl des tat­säch­li­chen „Fest­hal­tens“ und der sprich­wört­li­chen Ma­te­ria­li­sie­rung von Ge­dan­ken, die uns dann noch in­ten­si­ver be­wusst wer­den kön­nen.